Wolfgang Reitzle – Macht, Marken und verpasste Chancen in der Autoindustrie (#108, 109)
- Karsten Arndt
- 2. Sept. 2021
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 7. Apr.
BMW, Mini, Z8, Rover – und eine Entscheidung, die alles veränderte: Die Geschichte eines der einflussreichsten, aber auch unbequemsten Manager der Autoindustrie.

Wolfgang Reitzle ist keiner, der Kompromisse macht. Nicht beim Design, nicht bei der Technik – und schon gar nicht bei sich selbst. Er ist der Prototyp des strategischen Machers, ein Mann mit scharfem Verstand, klarem Urteil und einer Karriere, die ganze Produktgenerationen geprägt hat. Und doch ist er nie der geworden, den viele in ihm sahen: der Porsche-Chef. Warum? Das erzählt er in einer der aufschlussreichsten Episoden des Podcasts Alte Schule – offen, klug und als unterhaltsamer Redner.
Vom Werkstattkittel zur Chefetage
Seine Karriere beginnt nicht im Vorstandszimmer, sondern im grauen Kittel. Reitzle, promovierter Maschinenbauer, will die Produktion verstehen – und lässt sich von BMW als Entwickler an die Basis schicken. Früh fällt er auf. Nicht durch Lautstärke, sondern durch Verstand. Er denkt nicht nur über Technik nach, sondern über Prozesse, über Sinn, über Kundennutzen.
Es dauert nicht lange, bis BMW ihn fördert – und Reitzle zum Chefentwickler macht. Seine Handschrift wird zur Benchmark: Technik muss nicht nur funktionieren, sondern auch führen.

Der Z8, der Mini und die stille Revolution
Unter Reitzles Führung entstehen Fahrzeuge, die heute Ikonen sind: Der BMW Z8 – ursprünglich fast nur ein Designspiel, wird unter seiner Leitung zur Hommage an den 507. Der neue Mini – ein internes Untergrundprojekt, das später weltweit Kultstatus erreicht. Beides Fahrzeuge, die es ohne seine Hartnäckigkeit nie gegeben hätte.
Reitzle vertraut auf Instinkt, nicht auf Marktforschung. „Wenn du ein Auto bauen willst, das alle mögen, bekommst du ein Auto, das niemand liebt“, sagt er. Ein Satz, der ihn durch seine Laufbahn begleitet – und erklärt, warum seine Entscheidungen oft mutig, aber selten bequem waren.
Der fast-Wechsel zu Porsche
1992 erreicht seine Karriere einen Wendepunkt: er bekommt das verlockende Angebot, Vorstandsvorsitzender von Porsche zu werden – samt Beteiligung am Unternehmen. Reitzle zögert nicht lange. Doch BMW interveniert. Die Machtspiele im Hintergrund enden damit, dass Reitzle bleibt – aber nie wieder dieselbe Rolle bei BMW einnimmt.
„Man hat mir die Quittung ausgestellt“, sagt er heute nüchtern. Und doch ist es kein Bruch, sondern nur ein neuer Abschnitt. Reitzle bleibt sich treu – und geht später ganz eigene Wege.
Rover, Ford, Linde – und die Grenzen der Geduld
Die Übernahme von Rover wird für Reitzle zur größten Enttäuschung. Er war dagegen – und sollte recht behalten. Was als strategischer Coup begann, endete im Milliardenverlust. Doch statt sich zu distanzieren, hält Reitzle Kurs, bis er gehen muss. Später übernimmt er leitende Rollen bei Ford Premium Cars und Linde, führt beide Unternehmen zu neuer Stärke – und bleibt dabei seinem Anspruch treu: Substanz vor Show.

Reitzle heute: Klarblick statt Nostalgie
Im Gespräch bei Alte Schule wirkt Reitzle kein bisschen altersmilde. Er redet über Macht und Verantwortung, über Innovationsdruck und Überregulierung – aber nie als Besserwisser. Eher als jemand, der genau weiß, wie viel Mut es kostet, gegen die Kultur des „Weiter so“ anzudenken.
Seine Biografie ist die eines Mannes, der viel erreicht hat – aber sich nie auf seinen Erfolgen ausruht.
Wolfgang Reitzle war nie der Typ, der alle mitgenommen hat – aber immer einer, der wusste, wo es langgeht. Ob BMW ohne ihn je den Z8 gebaut hätte? Ob der Mini ohne ihn wiederbelebt worden wäre? Ob Porsche heute anders aussähe, wenn er damals gewechselt hätte? Man wird es nie wissen.
Was man aber weiß: Kaum jemand hat die deutsche Autoindustrie so geprägt wie er – ohne dabei je laut zu sein.
Er war der Architekt hinter dem modernen BMW: Prof. Wolfgang Reitzle, einst jüngster TU-Diplomingenieur, später Entwicklungsvorstand in München – und beinahe Porsche-Chef. In dieser zweiteiligen Folge von Alte Schule öffnet er die Tür zu einer Zeit, in der nicht nur Fahrzeuge entworfen wurden, sondern Karrieren, Machtspiele und strategische Weichenstellungen auf höchster Ebene das Tempo vorgaben.
Vom Aufbau des legendären BMW Pilotwerks über die Einführung der Z1-Baureihe, den 12-Zylinder im E32, die heimliche Entwicklung des Z8 und des Mini, bis hin zum Fast-Wechsel zu Porsche inklusive Aktienangebot – Reitzle erzählt mit klarem Blick, spitzer Zunge und ohne Blatt vor dem Mund, wie sich die Machtspiele bei BMW abspielten und warum eine Unterschrift seine Karriere fast in eine ganz andere Richtung gelenkt hätte.
„Wenn man etwas wirklich will,
dann geht man auch mal um die Hierarchie herum.“
Teil 1: Vom Blaumann zum BMW-Vorstand
Wie Reitzle im grauen Kittel in der Fertigung startete
Der Aufbau des Pilotwerks – gegen alle Widerstände
Erster Kontakt mit von Kuenheim und der Aufstieg in die Chefetage
Einführung der ersten Schweißroboter bei BMW
Warum der E30 Touring gegen jede Marketinglogik entstand
Erste strategische Ideen für Mini & Z8
Prof. Wolfgang Reitzle Teil 1 – jetzt hören:
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„Rover zu kaufen war Wahnsinn. Und teuer – zehn Milliarden teuer.“
Teil 2: Porsche, Rover, Mini – und der nicht erfolgte Aufstieg
Der goldene Zwölfzylinder für den E32 und das Ende der Tachowelle
Porsche bietet Reitzle den Chefposten + Anteile – doch BMW interveniert
Eine verbotene Unterschrift bei Porsche und die bittere Reaktion von BMW
Mini & Z8 als heimliche Herzensprojekte gegen den Widerstand im Vorstand
Warum der Rover-Kauf zum Desaster wurde – und Reitzle Recht behalten sollte
Gespräche mit Piech, Kritik an Schrempp – und Reitzles ganz eigene Sicht auf Macht und Führung
Prof. Wolfgang Reitzle Teil 2 – jetzt hören:
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